GedichtGedichte

Das Gedicht „Horaz“ stammt aus der Feder von Friedrich von Hagedorn.

Horaz, mein Freund, mein Lehrer, mein Begleiter,
Wir gehn aufs Land. Die Tage sind schon heiter;
So wie anjetzt die Furcht der blinden Nacht
Ein heller Mond uns minder nächtlich macht.
Es herrscht das Licht, und alle Lüfte geben
Der frohen Welt das eigentliche Leben.
Die rechte Lust kömmt mit der Frühlingszeit.
Natur und Mensch sind voll Gefälligkeit.
Ihr unerkauft- und unerfochtnen Freuden!
Sucht keine Pracht: die Pracht muß euch beneiden.
Des Daseins Trost, das Recht, vergnügt zu sein,
Der Kenner Glück macht Lenz und Witz gemein.

Ja, auch der Witz! Die Einfalt kann nicht sehen;
Ihr lachen nicht die Täler und die Höhen.
Sie hört auch grob, und in der Melodie
Der Nachtigall erschallt kein Ton für sie.
Wie schmeichelhaft und mit verjüngten Flügeln
Der Zephir kühlt; wie auf begrasten Hügeln
Die Anmut grünt; wie Pflanze, Staud' und Baum
Sich edler färbt: das alles merkt sie kaum.
Sie suchet nur die Schatten, wie die Herden,
Wann schwüle Tag' ihr unerträglich werden.

Wer denkt und schreibt, zumal der Dichter Chor,
Zieht Busch und Wald den schönsten Städten vor.
Wie läßt sich dort, wenn wir noch das erwägen,
Der Freund der Stadt, dein Fuscus, widerlegen!
Hat nicht Tarent dir oft den Scherz gewährt,
Den du in Rom, selbst beim Mäcen, entbehrt?
Ein lautrer Fluß, der Auen und Gefilde
Befruchtend ziert, ward deiner Kunst zum Bilde,
Die, stark und rein, ihr Feld erfrischt und schmückt,
Und Sprach' und Witz bereichert und beglückt.
Du sahest oft an hoffnungsvollen Bäumen,
Und Rind' und Stamm, das Moos zu häufig keimen,
Und dachtest dann vielleicht an ein Gedicht,
Und ließest ihm den fremden Anwachs nicht,
Den Überfluß, den wir nicht dulden sollen,
So ungern auch die Wörter weichen wollen.

Mein Meierhof! so mäßig wünschtest du,
Wann seh' ich dich, in Stunden freier Ruh',
Beim Schlaf am Bach, aus Büchern kluger Alten,
Vergessenheit der Mühe zu erhalten,
Der öftern Last, die in der Stadt mich drückt,
Und meine Lust in enger Luft erstickt?
Wann werd' ich mich in jenen kühlen Gründen,
An jenem Quell, verneuert, wiederfinden?

Arell, der Filz, des Wuchers blasser Knecht,
Zieht auf das Land, vergnügt sich; aber schlecht.
So wie ein Sklav', den Furcht und Kette lähmen,
Mehr kriecht, als geht, wenn wir sie von ihm nehmen.

Was sichtbar ist, sei nur dem Pöbel schön!
Die Geisterwelt entzücket den Menen.
Wie Democrit, vertieft er sich in Träume,
Sitzt in dem Wald, und sucht im Walde Bäume.

Nasidien, der Comus unsrer Zeit,
Rollt durch das Tor in stolzer Herrlichkeit,
Erreicht sein Gut, mit neunundzwanzig Gästen,
Wie in der Stadt, sich stundenlang zu mästen.

Es eilt Quadrat, er, seines Roms Tribun,
Zu Gärten hin, wie seine Nachbarn tun.
Der Blüten Duft, der Blumen Reiz zu fühlen?
Nein: ungestört und vorteilhaft zu spielen.

Hephästion verläßt die Majestät,
Besucht sein Lehn, wo er das Schloß erhöht,
Guckt in sein Feld; das Feld ergötzt ihn wenig.
Allein warum? Dort sieht er keinen König.

Du bist es wert, der Landlust Freund zu sein.
Horaz, mit dir hab' ich den Trieb gemein.
Uneingedenk der Stadt und ihrer Sorgen,
Empfind' ich hier die Freiheit und den Morgen.
Wir bleiben hier, nun uns kein Schwätzer trennt,
Und Harvstehud ist heute mein Tarent.

Oft grenzt die Lust, unwissend, an dem Leide;
Doch nicht allhier, doch nicht an jener Weide,
An diesem Fluss. Wohin mein Blick sich kehrt,
Ist alles schön, ist alles sehenswert.
Verleiht der Glanz der unumwölkten Sonne
Auch Felsen Reiz und rauhen Bergen Wonne,
Wie sehr entzückt uns ihre holde Pracht,
Wann sie, wie jetzt, das Schöne schöner macht,
Wann, da sie sich den fetten Äckern zeiget,
Der Hufner singt, und auch sein Vieh nicht schweiget!

Es war vorlängst der schattenreiche Wald,
Der Auen Schmelz, der Weisen Aufenthalt.
Wo wohnt so gern die Feindin banger Schranken,
Die Einsamkeit, die Mutter der Gedanken,
Wann der Verstand, weil ihn kein Amt bezirkt,
Uneingesperrt und ungefesselt wirkt?
Wo Muße lehrt, wo Lust und Einfall reifen,
Verführt uns nichts, voll Unruh', auszuschweifen.
Hier störet uns nicht der Geschäfte Ruf;
Hier lernet man, wie schön die Allmacht schuf;
Hier wird man, froh, von Wahn und Zwang entbunden,
Herr seiner Zeit, und König seiner Stunden.

Ein Tor eilt stets auf neue Wirbel los;
Ein Weiser ist, auch in der Stille, groß.
Ein Tor bedarf der Ämter und Geschäfte:
Der Wanduhr gleich, gibt das Gewicht ihm Kräfte;
Sonst kaum bemerkt, von eignen Trieben leer,
Blieb er ein Tor; durch Würden wird er mehr.

Wie sehnt Servil sich nach Berufsbeschwerden,
Beträchtlicher und hochbestallt zu werden!

Was schützt das Zeug, das Battus täglich spricht?
Sein neues Amt, sein altklug Amtsgesicht,
Sein Heldenton, sein Recht zu höhern Stellen,
Des Scheinglücks Stolz, und dieses Stolzes Schellen.

Ja, Gelasin! dein Herz ist falsch und klein,
Und nur dein Stand zwingt dich, ein Mann zu sein.
So stellt der Krieg die Feinde seiner Hitze,
Die Friedlichen recht an des Heeres Spitze,
Und manchem wird das Ruder anvertraut,
Dem, viel zu früh, vor Wind und Wellen graut.

Vor Tausenden war Celsus zu beneiden:
Er hatte g'nug zur Wohlfahrt und zu Freuden,
Nur nicht Verstand; und dieses Loos allein
Hat er noch jetzt mit Tausenden gemein:
Jetzt, da der Hof den Titelknecht erhandelt,
Und seine Ruh' in Müh' und Rang verwandelt,
Ihm den Genuß zur Eitelkeit und Pracht,
Und seinen Schlaf zum kurzen Schlummer macht;
Ja, wann er sich zum milden Regen dränget,
Ihn mit dem Tau der Hoffnung nur besprenget.
O Sklavengeist, der sich mit Stolz verstrickt,
Heiß' endlich groß! sonst warst du fast beglückt.

Glück und Genuß sind, in dem Mittelstande,
Zu klein dem Neid, und viel zu groß der Schande,
Und krönen den, der, dienstfrei und vergnügt,
Der Väter Feld mit eignen Rindern pflügt,
Nicht leiht, noch borgt: nach Art der ersten Sitten
Der Hirtenwelt, die keinen Wucher litten,
Den nicht, zur Schlacht, die Kriegstrompete weckt,
Den keine Wut erzürnter Meere schreckt.
Er hört den Zank nicht vor Gerichten bellen,
Er naht sich nie der Großen stolzen Schwellen.
Durch ihn vermählt, in einem trocknen Raum,
Die Rebe sich dem hohen Pappelbaum.
Er pfropft, er pflanzt, er freut sich seiner Triften.
Kein schnöder Wunsch wird seine Ruh' vergiften.
Wie unschuldvoll ist, was ihn fröhlich macht!
Der Schafe Schur, der Vogelsang, die Jagd,
Die Taubenzucht, die Wartung seiner Bienen,
Das frische Bad, der stille Schlaf im Grünen.
An Kriegsgerät besitzt er nur ein Zelt,
In welchem er mit Freunden Tafel hält.
Sein Vieh, sein Land, sein Garten gibt Gerichte,
Die Milch, den Fisch, den Braten und die Früchte,
Sein Weinberg Wein, den kein Verkäufer mischt,
Und ihm sein Knecht im nahen Bach erfrischt,
Im Teich, im Strom, wo Schlei und Karpfe springen,
Forell und Schmerl durch Sand und Kiesel dringen,
Der Frösche Feind, der Krebs, geharnischt laicht,
Und, ganz vertieft, die bärt'ge Barbe streicht,
Und was er sonst bald mit beglückten Händen
Zu angeln pflegt, bald in der Netze Wänden
Gefangen führt, bald, wie den fetten Aal,
In Reusen lockt, zum frohen Mittagsmahl.
So kann er leicht auch der Murän entbehren:
Ein Crassus nur betrauert sie mit Zähren.
Er findet auch sein Birkuhn ungemein,
Erstickt es gleich nicht in Falerner Wein.
Den, der, beschwitzt, von seinem Jagdgaul steiget,
Reizt Hausmannskost, und was sein Kohlfeld zeuget.
Dort schmeckt dir Brot, wie sonst kein Kuchen tat.
Denn alles schmeckt, wo man Bewegung hat.

Die, auf dem Land, an trägen Sitzen kleben,
Sind lächerlich in ihrem Pflanzenleben.
Insecten sind lebendiger, als sie.

So faul und schwach sind meine Dichter nie.
Dort schleicht Tibull durch die gesunden Haine:
Hier schaufelst du durch Schollen und durch Steine.
Dein Nachbar gafft, und sieht, mit Lächeln, an,
Wie ein Poet so bäurisch graben kann.

Da flehst du nicht, dein Gütchen zu vermehren:
O möchte mir der nächste Fleck gehören!
Es würde dann mein Acker schnurgleich sein.
O räumtest du, Mercur, mir dieses ein!
O könnt' auch ich, durch Herculs Gunst und Fügen,
Wie jener Knecht, mir einen Schatz erpflügen!
(Der Kerl war schlau, als er den Geldtopf fand,
Erkauft' er sich das herrschaftliche Land.)
Ein mäßig Feld, daran ein Garten schließet,
Ein steter Quell, der nah' am Hause fließet,
Ein klein Gehölz war meiner Wünsche Zug.
Der Himmel gab's: ich habe mehr als g'nug.
Nun fleh' ich nur, durch würdiges Verwalten
Mir den Genuß des Glückes zu erhalten.
Hat noch kein Griff der Unersättlichkeit
Dies dein Geschenk vergrößert und entweiht;
Laß ich es nie, durch sträfliches Beginnen,
Durch eigne Schuld, vermindern und zerrinnen,
Bin ich vergnügt, und dankbar für mein Glück:
So zieh' von mir nie deinen Schutz zurück,
So gib Gedeihn; laß Acker, Weid' und Herden,
Den Witz nur nicht, sonst alles feister werden!

Du bist vergnügt, und, war dein Vater gleich
Nicht aus dem Rath, nicht angesehn, nicht reich,
Kein Edelmann vom pontischen Gestade:
Kein Flavius, den des Lucullus Gnade,
Als Mithridat ihm kümmerlich entkam,
Am Leben ließ, und mit nach Welschland nahm;
So lässest du dich nie den Vorwurf quälen,
Und würdest dir nur ihn zum Vater wählen.
Als seinem Sohn ist vieles dir vergönnt.
Nun bringet dich ein Maulthier nach Tarent.
Den Mantelsack schnürst du ihm auf den Rücken,
So wund ihn auch sein Herr und Bündel drücken.
Der Aufzug ist für Edle viel zu schlecht,
Doch deinem Stand und deinem Sinn gerecht.
Dir ist der Staat, auf deinen kleinen Reisen,
Gleichgiltiger, als Seneca, dem Weisen,
Und auch daheim, bei deinem irdnen Krug,
Sind Kichern, Lauch und Plinzen dir genug.

Doch bist du Wirth an einem Freudenfeste,
So wählst du dir erkannte, gleiche Gäste,
Nur wenige, nur die sich gerne sehn.
O möchte doch Biber die Kunst verstehn!
Durch diese Kunst verbrüdern sich die Herzen:
Kein falscher Freund verräth von unsern Scherzen
Wort' oder Ton. Was man beim Weine spricht,
Muß heilig sein, und dient für Klätscher nicht.
Soll einem Mahl nur Zwang und Ekel fehlen,
So muß Torquat zum Schaffer dich erwählen.
Bei dir, wo nichts die Nase runzlicht macht,
Verlängert ihr, beredt, die Sommernacht:
Wo Reinlichkeit den Tisch bestellt und decket,
Kein Schmutz, kein Staub den Spiegelglanz verstecket,
Der Tischgeschirr und Trinkgefäße schmückt,
In welchen man sich, ungesucht, erblickt:
Wo Treu' und Lust, ihr Bündnis recht zu schließen,
Falerner Wein in kleine Becher gießen.

So sehr, Horaz, es dir Vergnügen bringt,
Wenn Phyllis dir den schwarzen Gram versingt,
Und doch dein Ruf, ein Lob, daß du gefallen,
Dir reizender, als alle Lieder, schallen.
So gibt und nährt nur die Zufriedenheit
Dein schönstes Glück, das täglich dich erfreut,
Der Freiheit Frucht, die nur den Weisen rühret.
Der herrschen kann, und würdig sich regieret.
Was in der Welt ist von so hohem Wert,
Als Freiheit ist, die jede Lust vermehrt?

Und ist nicht sie dem Golde vorzuziehen?
Wer knechtisch lebt, dem Mangel zu entfliehen,
Entbehret stets, im Kleinen, den Genuß.
Wer immer wünscht, und, folglich, fürchten muß,
Heißt dir nie frei. Wird dich die Habsucht nagen,
So hat Arist Erlaubnis, dir's zu sagen:
Dein Auftrag will's. Es nimmt ein weiser Mann,
Der Lehren gibt, noch lieber Lehren an.
Jedoch kein Geiz darf deine Lust beschweren:
Dir ist es leicht, ihn männlich abzuwehren.
Den Wert des Glücks, das dir dein fruchtbar Feld,
Dein Wald, dein Bach, ohn' andrer Neid, erhält,
Kann kein Regent, kein König großer Staaten,
Kein Held im Sieg, und kein August errathen.

Du bist vergnügt: dich liebet dein Mäcen.
Wer weiß, wie er, die Menschen einzusehn?
Wer wählt so wohl? Dein Herz bleibt ihm ergeben,
Und solchen Freund willst du nicht überleben.
Allein, so sehr der Großen Beispiel rührt,
Und ihr Geschmack oft Klügere verführt,
So durftest du dir treu und ähnlich bleiben,
Und nicht mit ihm zu unnatürlich schreiben.

Der ist beglückt, der sein darf was er ist,
Der Bahn und Ziel nach eignen Augen mißt,
Nie sklavisch folgt, oft selbst die Wege weiset,
Ununtersucht nichts tadelt und nichts preiset,
Und, wenn sein Witz zum Dichter ihn bestimmt,
Natur und Zeit zu seinen Führern nimmt.

Du bist vergnügt, und lehrest das Vergnügen,
Wie Dichter tun, die Geiz und Gram besiegen:
Denn ein Poet, den auch sein Herz erhebt,
Beklagt das Volk, das nur nach Schätzen strebt.
Der Welt zur Lust, zum Dienst und Unterrichte,
Sinnt er auf nichts, als ewige Gedichte.
Er macht sich nicht durch Ränke, Zwist, Vergleich,
Als Mitgenoß, auch nicht als Vormund, reich,
Beruft ihn nicht Nasidien zu Schmäusen,
So weiß er auch, wie dein Ofell, zu speisen:
Und ficht er nicht Achillisch in der Schlacht,
So ist er doch auf andrer Wohl bedacht.
Denn ist es wahr, daß man durch Kleinigkeiten
Dem Großen hilft; und wer wird dies bestreiten?
So bildet er der Kindheit zarten Mund,
Und macht ihr früh der Sprache Wohllaut kund,
Gewöhnt das Ohr, der Wörter Wahl zu lernen,
Im Ausdruck sich vom Pöbel zu entfernen:
Dann gibt er auch dem Herzen die Gestalt,
Durch treuen Rath, durch freundliche Gewalt.
Die Rauhigkeit der Sitten, die verwildern,
Den Neid, den Zorn weiß seine Kunst zu mildern
Ein Dichter lehrt das menschliche Geschlecht
Der Tugend Reiz und ihrer Taten Recht.
Ein Dichter stellt für Zeiten, die entstehen,
Exempel dar, den Mustern nachzugehen,
Erleichtert oft des Armen Last und Hohn,
Und mäßiget des Kranken Klageton.
Die den Homer, wie du, mit Einsicht lesen,
Sehn, daß schon er ein Menschenfreund gewesen.

Du bist es auch, und selbst Petrarch gestand,
Wie sehr er sich durch dich veredelt fand.
Dein weiser Rath lehrt Vorurteile hassen,
Erhellt den Witz, und macht das Herz gelassen.
Zufriedenheit besänftigt unsern Mut,
Und sie allein nennt jede Fügung gut.
Selbst im Palast, wie in beschilften Häusern,
Ist keine Zeit ihr gülden oder eisern.

Du bist daher, in Rom und in Athen,
Ein Aristipp, und nicht ein Diogen.
Den Größesten, den Schönsten zu gefallen,
Die Gabe schenkt das karge Glück nicht allen.
Wie deren Ruhm die Ewigkeit gewinnt,
Die Weisen hold und Dichtern günstig sind,
So wird nicht der zum Thron der Ehre dringen,
Den Weise scheun, und Dichter nie besingen.

Doch was sie mehr als aller Beifall ehrt,
Mein Freund Horaz, das ist ihr eigner Wert:
Mit eignem Wert, als einem Schirm, umgeben,
Heißt jeder Tag dich, sonder Aufschub, leben.

Wann werd' ich einst, in unbelauschter Ruh',
Nicht so berühmt, nur so vergnügt, wie du?

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