GedichtGedichte

Das Gedicht „Osterspaziergang“ stammt aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe.

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dring ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss, in Breit' und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet gross und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

Analyse

Das Gedicht „Osterspaziergang“ (1806; Epoche der Weimarer Klassik) besteht aus 1er Strophe mit 38 Versen. Aus Gründen der Lesbarkeit, sind hier 3 Strophen optisch angedeutet. Ein Reimschema lässt sich nicht ausmachen.

Inhalt / Zusammenfassung

Der Monolog in der 5. Szene der Tragödie „Faust I.“ („Vor dem Tor“; Vers 1064 - 1125) wird von dem Lyrischen Subjekt „Faust“ gesprochen und spielt an einem Ostersonntag im Mittelalter.

Der Gelehrte Faust und sein Famulus Wagner machen am Morgen des Ostersonntags einen Spaziergang vor die Tore der Stadt. In der vom Frühling bestimmten Natur mischen sie sich unter das Volk. Die Menschen grüßen Faust, als er an ihnen vorbeigeht, weil Fausts Vater, selbst ein Alchemist, die Pest geheilt hat. Faust ist in düsterer Stimmung. Während sie zwischen den flanierenden Dorfbewohnern spazieren gehen, offenbart Faust Wagner seinen inneren Konflikt. Faust und Wagner sehen einen Pudel, von dem sie nicht wissen, dass es sich um Mephistopheles in Verkleidung handelt, der ihnen auf dem Rückweg zum Studierzimmer folgt.

Im ersten Absatz (Vers 1 bis 13) geht es darum, dass der Frühling den Winter verdrängt („Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“): dieser zieht sich in die Berge zurück und die Sonne kommt hervor.

Im zweiten Absatz (Vers 14 bis 26) drängen die Bürger der Stadt in die Natur und feiern die Auferstehung des Herrn. Die Stadt selbst wird als dunkel und quetschend eng beschrieben. Die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings holen die Menschen aus ihren „dunklen“ Räumen und lassen das öffentliche Gemeinwesen erblühen.

Der dritte Absatz (Vers 27 bis 38) ist geprägt von der „Eroberung“ der Natur durch den Menschen. Faust ist fasziniert von der Haltung der Menschen gegenüber dem Frühling. Er beschreibt wie sie sich in der Natur entfalten können („Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“), ohne den Einfluss von Willkür oder Gewalt.

Hintergrund

Ostern ist das wichtigste und älteste Fest des Christentums. Es erinnert an die Auferstehung Jesu, die das Neue Testament auf den übernächsten Tag der Passion (Karfreitag), also den "dritten Tag", datiert. Das Hochfest, dem die Karwoche, der letzte Teil der Fastenzeit, vorausgeht, beginnt in der Nacht vor dem Ostersonntag mit der Osternacht.

Das Fest ist seit dem 2. Jahrhundert belegt und hat seine Wurzeln im jüdischen Passahfest (Pessach), das an den Auszug des hebräischen Volkes aus Ägypten erinnert. Für die Christen, die Jesus als Messias anerkennen, erinnert Ostern an seine Auferstehung 3 Tage nach dem letzten Abendmahl (gefeiert am Gründonnerstag), dem letzten Mahl, das er mit seinen Jüngern am jüdischen Passahfest einnahm, dem Vorabend seiner Passion (gefeiert am Palmsonntag und Karfreitag), wie es im Neuen Testament heißt.

Aus theologischer Sicht erlöst Jesus Christus, der Sohn Gottes, durch seinen Tod und seine Auferstehung den Menschen und führt ihn aus der Sklaverei des Bösen und der Sünde heraus (Geheimnis der Erlösung). Die Bedeutung von Ostern ist der Sieg des Lebens über den Tod.

Das Osterdatum wurde vom Konzil von Nicäa auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond (= Frühlingsvollmond; astronomischer Früglingsbeginn) nach dem 21. März festgelegt ( also frühestens auf den 22. März und spätestens auf den 25. April). Die westlichen Kirchen, die den gregorianischen Kalender übernommen haben, feiern Ostern oft an einem anderen Datum als die orthodoxen Kirchen, die sich noch immer auf den julianischen Kalender beziehen. Der Unterschied kann je nach Jahr bis zu 5 Wochen betragen.

Der Text des Gedichts steht auch als mustergültig gestaltetes PDF Osterspaziergang zum Drucken bereit.

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